RadigZ

Radikalisierung im digitalen Zeitalter

Projektbeschreibung

Der Lehrstuhl für Kriminologie, Strafrecht, Strafprozessrecht und vergleichende Strafrechtswissenschaften an der Universität Greifswald war unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Harrendorf am Forschungsprojekt „Radikalisierung im digitalen Zeitalter (RadigZ)“ bis zum 14.08.2020 als Verbundpartner beteiligt und bearbeitete das Teilvorhaben III (Gesamtvorhaben: www.radigz.de) mit dem Themenschwerpunkt „Qualitative und quantitative Analyse internetbasierter Propaganda“, in welchem die Wechsel- und Rückwirkungen zwischen computervermittelten Kommunikationsprozessen und der sozialen Identität der Kommunizierenden selbst im Mittelpunkt standen. RadigZ wurde durch das BMBF auf Basis des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit 2012 – 2017“ der Bundesregierung im Rahmen der Bekanntmachung „Zivile Sicherheit – Aspekte und Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung“ gefördert. Der Förderzeitraum betrug drei Jahre (Februar 2017 bis Februar 2020).

Die digitale Vernetzung entgrenzt Kommunikation zeitlich wie räumlich und ermöglicht zugleich eine weitgehende Anonymität des Nutzers; beides spielt auch im Zusammenhang mit begangenen Straftaten wie Volksverhetzung oder Vorbereitungshandlungen für Terroranschläge u.ä. eine Rolle. Anschließend an Diskussionen um den Faktor ‚Internet‘ (Social Identity Model of Deindividuation Effects, Medienlogik, Prägekraft, mediatisierte Welten) stellte das Projekt die Frage nach der Rolle des Digitalen in der Konstruktion radikaler Identitäten. Die assoziierten Partner aus der Praxis unterstützten die Forschung durch entsprechendes Expertenwissen hinsichtlich relevanter Onlineplattformen im extremistischen Milieu sowie der Kenntnis bedeutsamer Strafverfahren. Die gewonnenen Materialien und Inhalte aus den relevanten Chats, Social-Media-Gruppen, geschlossenen und offenen Foren wurden im Rahmen von qualitativen und quantitativen Inhalts-, Diskurs- und Netzwerkanalysen von Prof. Harrendorf sowie Bernd Geng, Antonia Mischler, Pia Müller, Lieven Ullwer, Johanna Liesch, Jessica Wille, Robert Wollenberg, Annika Bornscheuer, Fehmie Lina Ahmad und Svenja Heidenreich ausgewertet.

Antonia Mischler (Kriminologin) bearbeitete im Rahmen eines verknüpften Dissertationsvorhabens speziell die Fragestellung der jihadistischen/salafistischen Radikalisierung in den sozialen Medien.

Pia Müller (Politikwissenschaftlerin) fokussierte in ihrem Dissertationsvorhaben das diskursive Ringen um Deutungsmacht extrem rechter Akteur*innen in Social Media.

Das Team intendierte, auf Basis der erlangten Ergebnisse präventive Handlungsansätze zu erarbeiten, welche die herausgearbeiteten Besonderheiten des Mediums für gezielte kommunikative Gegenmaßnahmen direkt auf den betroffenen Webseiten (z.B. im Wege der „counterspeech“ bzw. Gegenrede) nutzbar machen.

Begleitend zur Forschungstätigkeit fand im Wege diverser Verbundtreffen und Zusammenkünfte mit den assoziierten Partnern ein stetiger kooperativer Austausch statt. Ferner wurden Zwischenergebnisse in der relevanten Fachliteratur publiziert und auf kriminologischen Tagungen vorgetragen.

Veröffentlichungen zum Projekt

Radikalisierung im digitalen Zeitalter, Handlungsempfehlungen an Politik, Praxis und Gesellschaft, Langfassung

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Beiträge unter Beiteiligung von Stefan Harrendorf:

1. Wirksame Maßnahmen erfordern einen reflektierten Umgang mit digitalen Medien, S. 33 – 49 (mit Jens Struck, Daniel Wagner, Thomas Görgen, Silke Schmidt, Samuel Tomczyk, Antonia Mischler und Pia Müller)

2. Wirksame Maßnahmen beginnen mit der Förderung von gesellschaftlichem Zusammenhalt, S. 93 – 103 (mit Samuel Tomczyk, Jens Struck, Daniel Wagner, Thomas Görgen, Antonia Mischler, Pia Müller und Silke Schmidt)

Linguistic Radicalisation of Right-Wing and Salafi Jihadist Groups in Social Media: a Corpus-Driven Lexicometric Analysis

In: European Journal on Criminal Policy and Research, Volume 28 (2022), S. 203–244 (mit Pia Müller und Antonia Mischler)

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Abstract:

Social media groups, for example on Facebook, WhatsApp or Telegram, allow for direct exchange, communication and interaction, as well as networking of different individuals worldwide. Such groups are also used to spread propaganda and thus allow for self-radicalisation or mutual radicalisation of their members. The article reports selected results from a research project analysing online communication processes of extremist groups. Based on data from group discussions in social media, corpus linguistic analyses were carried out, examining quantitative relationships between individual lexical elements and occurring regularities. To this end, four different corpora were built. These consist of data collected in right-wing and Salafi jihadist groups of a low or medium radicalisation level on Facebook and VKontakte via fake profiles, and of group communication in forums, messenger apps and social networks of highly radicalised persons, which were extracted from files of (e.g. terrorism) cases prosecuted in Germany. Quantitative linguistic analyses of social media data continue to be challenging due to the heterogeneity of the data as well as orthographic and grammatical errors. Nevertheless, it was possible to identify phenomenon specific sociolects that point to different levels of linguistic radicalisation. Based on the results of the analyses, the article discusses the prospects, problems and pitfalls of lexicometric analyses of online communication, especially as a tool for understanding radicalisation processes.

Menschenverachtende Online-Kommunikation – Phänomene und Gegenstrategien

In: Reinke de Buitrago, S. (Hrsg.) Radikalisierungsnarrative online (mit Jens Struck, Daniel Wagner, Thomas Görgen, Samuel Tomczyk, Antonia Mischler und Pia Müller)

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Abstract:

Internetmedien, insbesondere Social Media, besitzen aufgrund der hohen Reichweite und der geringen Zugangsbarrieren demokratisierendes Potenzial. Gerade in den letzten Jahren werden zunehmend aber auch durch Online-Kommunikation bedingte Gefährdungen für die Werte der Demokratie, Freiheit, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit sichtbar. Die Rolle digitaler Medien in Radikalisierungsprozessen, bei der Verbreitung extremistischer Propaganda und bei ideologisch motivierten Gewaltaufrufen ist Gegenstand vielfältiger Auseinandersetzungen in Zivilgesellschaft, Medien, Politik, Sicherheitsbehörden und Wissenschaft. Im vorliegenden Beitrag werden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Fragestellungen zur Rolle von Online-Kommunikation in Radikalisierungsprozessen sowie Herausforderungen für die Entwicklung und Umsetzung von Präventionsansätzen und Gegenstrategien dargestellt und es wird diskutiert, inwiefern diese wirksam sein können. Dabei werden Handlungspotenziale zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, aber auch rechtspolitische und sicherheitsbehördliche Reaktionen und Strategien adressiert.

Das Zeitalter des digitalen Extremismus? Einige Befunde zu politisch extremer Kommunikation in Social Media.

In: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 2020, S. 411 – 420 (mit Pia Müller und Antonia Mischler)

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Aus der Einleitung:

"Der Beitrag geht der Frage nach, ob wir in einem „Zeitalter des digitalen Extremismus“ leben. Dabei spielt der Beitragstitel auf das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekt „Radikalisierung im digitalen Zeitalter“ (RadigZ) an, das von Februar 2017 bis (für die meisten Teilvorhaben) August 2020 lief. Die Verfasserinnen und der Verfasser haben im Rahmen des Projekts das Teilvorhaben III („Qualitative und quantitative Analyse internetbasierter Propaganda“) bearbeitet. Im Folgenden werden einige (qualitative) Untersuchungsergebnisse dieses Teilvorhabens präsentiert."

Volksverhetzung und Volksvernetzung: Eine analytische Einordnung rechtsextremistischer Onlinekommunikation

In: KrimOJ 2020, S. 310 - 337 (Jens Struck, Pia Müller, Antonia Mischler, Daniel Wagner)

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Abstract (Übernommen von KrimOJ)

Aktuell findet in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen eine Auseinandersetzung mit menschen- feindlicher Kommunikation im Internet statt, etwa mit Begriffen wie Hate Speech bezeichnet. Häufig werden zwei analytische Perspektiven zur Deutung entsprechender Phänomene herangezogen. Es handelt sich zum einen um etablierte sozialpsychologische Ansätze wie Bestätigungsneigung und Homophilie, die im Kontext von Social Media mit algorithmisch gestützter Selektion verknüpft und mit Begriffen wie Filterblase und Echokammer behandelt werden. Zum anderen werden Lesarten herangetragen, die derartige Kommunikation als (strategischen) Versuch ansehen, Deutungsmacht oder Diskurshoheit zu erlangen. Hier ist vornehmlich das Konzept der kulturellen Hegemonie relevant, auf welches verwiesen wird, wenn etwa eine Verschiebung der Grenze des Sagbaren thematisiert wird. Im vorliegenden Beitrag wird eine Synthese dieser beiden analytischen Perspektiven hergestellt und diskutiert. Dazu werden sie definiert und ihre Berührungspunkte und Differenzen beschrieben. Darauf aufbauend werden verschiedene rechtsextremistische Äußerungen unter Zuhilfenahme dieser Perspektiven analysiert und eingeordnet.

Neue Wege in den Terrorismus? Deutungsmuster extremistischer Ideologien in Social Media

In: Rechtswissenschaft 2019, S. 481 – 524 (Stefan Harrendorf, Antonia Mischler, Pia Müller und Bernd Geng).

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Der Beitrag adressiert die Bedeutung des Internets als ein zentrales, weltweit nutzbares Kommunikationsmittel, dem, basierend u.a. auf dem sog. Social Identity Approach und dem Social Identity Model of Deindividuation Effects, ein besonderer Einfluss im Radikalisierungsprozess auf unterschiedlichen Leveln der Radikalisierung zuerkannt wird. Die Verfasser*innen argumentieren, dass ein tiefergehendes Verständnis der Rolle computervermittelter Kommunikation innerhalb von Radikalisierungsprozessen heutzutage auch für die Erklärung der Entstehung von terroristischen Gruppen und der Genese von Terroranschlägen einen wichtigen Erkenntnisbeitrag liefert. Es werden der theoretische Rahmen sowie erste empirische Befunde aus dem Teilvorhaben III des BMBF-Verbundprojekts „Radikalisierung im digitalen Zeitalter“ (RadigZ) vorgestellt, in dem internetbasierte Propaganda qualitativ und quantitativ analysiert wird. Im Beitrag liegt dabei der Fokus auf qualitativen Analysen von Kommunikationsprozessen in offenen bzw. leicht zugänglichen, rechtsorientierten bis rechtsextremen sowie salafistisch bis jihadistisch orientierten Social-MediaGruppen, insbesondere auf Facebook. Es werden die in diesen Gruppen verbreiteten, der rechtsextremen bzw. salafistisch-jihadistischen Ideologie zuzuordnenden Deutungsmuster beispielhaft anhand dreier Erhebungszeitpunkte und thematischer Anlässe (Attentat auf dem Breitscheidplatz 2016, Bundestagswahl 2017, „Berlin trägt Kippa“ 2018) analysiert und verglichen. Im Projekt wurden auch Daten aus geschlossenen, hochradikalen, teils terroristischen Gruppen erhoben; deren Analyse ist aber noch nicht abgeschlossen und wird daher erst in späteren Publikationen dargestellt. Schon die Analyse des bisher vorliegenden Materials zeigt aber die Gefahren auf, die aus ideologisch unterfütterter, polarisierender und menschenfeindlicher computervermittelter Kommunikation in Social Media erwachsen können.

Same Same, but Different: Extremistische Ideologien online. Salafistischer Jihadismus und Rechtsextremismus in Social Media.

In: Petzsche / Heger / Metzler (Hrsg.), Terrorismusbekämpfung in Europa im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, Historische Erfahrungen und aktuelle Herausforderungen, Baden-Baden: Nomos 2019, S. 273 – 305 (mit Antonia Mischler und Pia Müller)

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Abstract (Übernommen aus der NK):

Terrorismus ist historisch kein neues Phänomen. Spätestens seit den 1970er Jahren stellen seine unterschiedlichen Spielarten Herausforderungen für die liberalen Staaten Westeuropas dar. Sie wehren sich gegen immer neue Dimensionen der Gefahr nicht nur, indem sie Sicherungsmaßnahmen im öffentlichen Raum erhöhen (etwa mit Betonsperren gegen den Missbrauch von Fahrzeugen zur Tötung ziviler Opfer); sondern auch im Recht findet eine „Aufrüstung“ statt. Angesichts der aktuellen, tiefgreifenden Veränderungen im Recht auf nationaler wie internationaler Ebene ist es an der Zeit, innezuhalten für eine Bestandsaufnahme: Drohen die liberalen Demokratien in Anbetracht der terroristischen Bedrohungen und einer verschärften Politik der Inneren Sicherheit, ihre Freiheit zu verlieren, die doch gerade konstitutiv für diese Staaten ist? Mit dieser Frage befassen sich die Beiträge in diesem Band aus rechts- und geschichtswissenschaftlicher Perspektive. Sie thematisieren historische Konstellationen und Erfahrungen ebenso wie die aktuelle rechtliche Situation in Deutschland, Spanien und Frankreich und wollen so den Weg bahnen für eine interdisziplinäre und vergleichende Auseinandersetzung mit dieser Problematik.

Vorüberlegungen zur Analyse von Radikalisierungsverläufen im Internet. Zugleich Vorstellung des Teilvorhabens III des Projekts „Radikalisierung im digitalen Zeitalter (RadigZ)“.

In: Neue Kriminalpolitik 2017, S. 388–397. (Stefan Harrendorf, Mark Bibbert, Antonia Mischler und Bernd Geng)

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Abstract:

Präsentiert werden einige Vorüberlegungen zur Analyse von Radikalisierungsprozessen im Internet, wie sie im Rahmen von Teilvorhaben III des vom BMBF geförderten Verbundprojekts „Radikalisierung im digitalen Zeitalter“ (RadigZ) erfolgen soll. Zudem wird das Anliegen des Vorhabens sowie in einem Ausblick kurz der weitere Arbeitsplan dargestellt. Untersucht werden sollen für die Bereiche des Rechtsextremismus einerseits und des Salafismus/Jihadismus andererseits, ob und wie Kommunikationsprozesse in den einschlägigen Foren und Social-Media-Gruppen von einem Einstiegslevel für Interessierte bis hin zu geschlossenen Gruppen hochradikalisierter Nutzer zur wechselseitigen Radikalisierung beitragen und unter welchen Bedingungen Gegenmaßnahmen in den Foren und Gruppen selbst (z.B. „Counterspeech“) ggf. erfolgversprechend sein könnten. Methodisch werden zunächst qualitativ, später auch quantitativ die Ebenen des Inhalts, der diskursiven Verstrickung sowie die der Netzwerke adressiert. Da es für empirische Befunde aus dem Teilvorhaben noch zu früh ist, fokussiert der Beitrag auf terminlogische und theoretische Vorüberlegungen. Der Radikalisierungsbegriff wird dabei mit Blick auf die Absicht, Agenten der sozialen Kontrolle hervorzubringen, interpretiert. Es wird erläutert, dass sich Radikalisierung als Positionierung verstehen lässt und welche Konsequenzen daraus für die Analyse der zu Grunde liegenden Deutungsmuster zu ziehen sind. Zudem werden einige für das Forschungsvorhaben wichtige Aspekte des Social Identity Approach betont, auch unter Bezugnahme auf das im Internetkontext bedeutsame Social Identity Model of Deindividuation Effects

Radikalisierung im digitalen Zeitalter – Risiken, Verläufe und Strategien der Prävention.

In: Forum Kriminalprävention 3/2017, S. 23 – 32

(mit Dominic Kudlacek, Nadine Jukschat,Andreas Beelmann, Nicole Bögelein, Bernd Geng, Edzard Glitsch, Thomas Görgen, KatrinHöffler, Diana Kietzmann, Bernd‐Dieter Meier, Frank Neubacher, Silke Schmidt und Thomas Bliesener)

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Der Beitrag beschreibt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungsprojekt Radikalisierung im digitalen Zeitalter (RadigZ), in dessen Rahmen Radikalisierungsverläufe untersucht und Risiken für Radikalisierungsprozesse ermittelt werden. Ein weiteres Ziel des Projektes besteht zudem in der Erarbeitung von neuen Präventionsansätzen und Handlungsempfehlungen, die sich auf Radikalisierungsprozesse beziehen und Gefährdungspotenziale des Internets als zentrales Verbreitungsmedium extremistischer Ideologien berücksichtigen.