Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Grundlagen des Rechts

Prof. Dr. Daniel Wolff, LL.M. (Yale)

Stellenausschreibung

Am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Grundlagen des Rechts der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Greifswald ist vorbehaltlich haushaltsrechtlicher Regelungen voraussichtlich zum 01.10.2025 befristet für die Dauer von drei Jahren eine Stelle als teilzeitbeschäftigte*r (50 v. H.)

wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in

zu besetzen. Die Vergütung erfolgt nach Entgeltgruppe 13 TV-L Wissenschaft. Bewerbungsfrist ist der 15.08.2025.

Nähere Informationen finden Sie hier.

Kontakt

Ernst-Lohmeyer-Platz 1
17489 Greifswald
Telefon +49 3834 420 2175

ls-wolff@uni-greifswald.de


Aktuelles

„Zu viel Verfassungsrecht?“

Den abschließenden Vortrag der Vortragsreihe „Zu viel Recht“ hielt am 15. Juli 2025 Prof. Dr. Norbert Lammert, seines Zeichens vormaliger Präsident des Deutschen Bundestages und gegenwärtiger Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Lammert näherte sich der Frage nach einem möglichen Zuviel an Verfassungsrecht nicht nur aus rechtlicher, sondern vor allem aus politischer, gesellschaftlicher und historischer Perspektive – geprägt durch seine langjährige Erfahrung als Politiker, Parlamentspräsident und Verfassungspraktiker. 

Zum Einstieg rekurrierte der Referent auf Montesquieu sowie Kant und argumentierte, dass sich Montesquieus Freiheitsbegriff als zu eng gefasst erweise, wenn dieser davon spreche, dass die Freiheit dort endet, wo das Gesetz beginnt. Vielmehr übersteige das menschliche Wollen, getragen von individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Erwartungen, häufig den Rahmen des rechtlich Zulässigen. Gegenüber dem bekannten Dictum von Immanuel Kant, wonach das Recht nie der Politik, wohl aber die Politik dem Recht angepasst werden muss, gab Lammert zu bedenken, dass auch die Politik Schutz vor dem Recht benötige. Die rechtliche Begrenzung gewählter Volksvertreter bedeute zugleich eine Einschränkung des Souveräns – des Volkes. Besonders deutlich zeige sich dies im Kontext der Europäischen Union: Zentrale Regelungen seien dort in Verträgen festgeschrieben, deren Änderung Einstimmigkeit voraussetze und damit politisch kaum zu realisieren sei. Das Europäische Parlament könne aufgrund primärrechtlicher Vorgaben nur begrenzt auf die Verträge Einfluss nehmen, weshalb sich die Stimme des Wählers über das Parlament regelmäßig nur auf Randthemen auswirke. Dies bürge das Risiko, dass ein Gefühl von Hilflosigkeit und institutioneller Ablehnung bei den Wählern entstehe.

Anschließend fokussierte Lammert die nationale Ebene. Statistisch lasse sich eine Überkonstitutionalisierung durchaus belegen: Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes habe sich sein Textumfang verdoppelt. Einige der hinzugekommenen Regelungen würden dem an verfassungsrechtliche Normen gestellten Anspruch nach Grundsätzlichkeit und Wesentlichkeit nicht gerecht. Trotz dessen bleibe das nunmehr 75 Jahre alte Grundgesetz eine stabile und überzeugende Verfassung. Insbesondere die konsequente Gewaltenteilung sowie die Etablierung eines eigenständigen Verfassungsgerichts hob Lammert lobend hervor. 

Einschränkend sei allerdings festzustellen, dass das Bundesverfassungsgericht über die Jahre hinweg nicht nur die Maßstäbe des Grundgesetzes angewendet, sondern zunehmend selbst Maßstäbe für politisches Handeln gesetzt habe. Grund dafür sei vor allem die letztlich unmögliche Trennung von (Verfassungs-)Recht und Politik, prüfe das Verfassungsgericht doch Gesetze, also Produkte der Politik, am Maßstab des Grundgesetzes, wobei es den geschriebenen Verfassungstext im Lichte der politischen Entwicklung auslege.

Besonders eindrücklich zeige sich dies beim verfassungsgerichtlichen Umgang mit dem assistierten Suizid. Vor der einschlägigen Entscheidung Karlsruhes im Jahr 2020 hatte sich der demokratisch legitimierte Gesetzgeber nach einem langwierigen, komplexen und überparteilichen Prozess dafür entschieden, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung zu verbieten. Das Bundesverfassungsgericht setzte sich gleichwohl, wenn auch mit vertretbarer Argumentation, über diese wohlüberlegte Entscheidung der Politik hinweg, indem es dieses Verbot für verfassungswidrig erklärte. Dies sei kritisch zu betrachten, denn so beanspruche das Gericht das letzte Wort gegenüber dem Gesetzgeber, der über eine deutlich breitere demokratische Legitimation verfüge.

Lammert mahnt in seinem Vortrag darauf zu achten, wo das Bundesverfassungsgericht seiner Rolle als Hüter der Verfassung gerecht werde und wo es beginne, selbst Politik zu gestalten. Wo Verfassungsinterpretation zur Verfassungsweiterentwicklung werde, brauche es eine neue Sensibilität für die Ausbalancierung juristischer Kontrolle und politischer Gestaltung. Mit anderen Worten: Über eine gut begründete Position des Gesetzgebers dürfe sich das Bundesverfassungsgericht nicht mit einer ebenso gut begründeten Einschätzung hinwegsetzen.